›gegenwartig‹ in: Deutsches Wörterbuch (¹DWB) (2024)

II.

Bedeutung und gebrauch.

1)

sinnlich, entgegengekehrt, zugekehrt.

a)

ganz ursprünglich und doppelt alterthümlich von entgegengesetzter feindlicher bewegung noch im 15. 16. jahrh., wenn in B. Zinks Augsb. chron. 97, 11 für gegenreiten (s. d.) eine hs. des 16. jahrh. ain gegenwirtig rennen setzt, ein turnierritt, d. h. in scharfem ernst, nicht im spiel, was denn wol mit gegenwirtig bezeichnet sein mag; vgl. auch die mhd. stelle unter 4, a, noch Schiller u. 5, a, dazu gegenwart I, 2 für gegner, ahd. gaganwert obvius unter gegenwart II, 1. diesz und jenes gegenwirtig sind wie adj. zu gegen oder entgegen, das zweite zugleich wie ein adj. zu gegeneinander (s. d. a. e.). bewegung kann auch im folgenden noch eingeschlossen sein, wo ein ritter sich naht und aus der ferne abgeschätzt wird, wer er wol sein möge:

ê diu rede wære getân,

Îdêrs ûf Kardigân

gegenwürtic über den hof reit.

Erec 1198,

in der nähe herankommend. auch in dem mhd. gegenwertig für zukünftig 5, c ist der begriff der heranbewegung bezeugt.

b)

gewöhnlich aber von ruhiger nähe, schon ahd. auch mit dat. der person, z. b. vom spenden des heiligen geistes durch Christus an die jünger:

êrist gab er in thaʒ guat,thâr er in geginwertig stuant,

joh santa in avur sidor thaʒ,thô er in himile gisaʒ.

Otfr. V, 12, 61,

da wo er ihnen noch gegenwärtig stand, vor augen, mit dem dativ der jetzt eigner weise nur noch geistig gebraucht ist (4); ähnlich wie hier doch noch Göthe unter 3, b, ja völlig so:

Prometheus ... ewig meine liebe dir!

Minerva. und ich dir ewig gegenwärtig!

33, 248, zugleich als helferin;

s. auch 3, a a. e. jenes gegenwärtig stehn noch bis tief ins nhd.:

die vrouwen, die mit mir gênt (mich begleiten)

und hie gegenwürtic stênt

und zîhent iuch mordes.

krone 19145;

daʒ wil he vorderen kempflîche .. zû demselben Heinrîche der dâ keinwertik stêt. Freiberger stadtr. 27, 7 bei Schott 3, 226; assistere, gegenwertig steen. Melber varil. b 6ᵃ; wir verwunderten uns alle, wir stunden gegenwertig mit suspendirten gemühtern. Schuppius 768, wohnten als zeugen bei. recht kräftig noch:

ein weiser fraget nicht, wo, wie und wenn er stirbet ..

so gilts ihm auch stets gleich, er hält sich allzeit fertig,

wird er gefodert auf (vom tode), so steht er gegenwertig.

Fleming 200 (Lappenb. 185),

d. h. steht in der nähe bereit wie ein lehnsmann oder diener, den der herr auffordert (s. 3, c).

c)

aber früh auch gegenwärtig sein, wie noch jetzt:

nû stêt an ûheres hêrren hant,

der hie gegenwortich is ..

manich kunincrîche.

Alex. 7073 W.;

da ich bei euch war gegenwertig. 2 Cor. 11, 9; wenn ich gegenwertig bei euch bin. Gal. 4, 18; das der herr selbs gegenwertig were in dem streit. Sir. 46, 8; derhalben ich auch solchs abwesend schreibe, auf das ich nicht, wenn ich gegenwertig bin, scherfe brauchen müsse. 2 Cor. 13, 10, wo jetzt doch anwesend vorherschend ist oder statt gegenwertig lieber zugegen. doch bleibt jenes das kräftigste: indem er schrieb, ergriff ihn das gefühl, sein höchstersehntes (Ottilie) nahe sich, es werde nun gleich gegenwärtig sein. Göthe 17, 386 (wahlv. 2, 16).

2)

für den grammatischen gebrauch ist noch zu bemerken

a)

der verlust der endung führte in dem gegenwärtig stehn den anschein des adv. herbei (vgl. 5, g); s. dazu unter gegenwart I, 7 das alts. geginward standan u. ähnl., daneben ahd. geginwerte stân von einer mehrheit. in andern fällen kann dadurch unsicherheit eintreten über die beziehung des endungslosen gegenwärtig, z. b.: was dürfte ich sonst des glaubens (an Christi verheiszung), wo ich solchs gegenwertig sehen ... künde? Luther 7, 187ᵃ; was er sich nach seiner entfernung muszte geschehen lassen, das wollte er wenigstens gegenwärtig nicht erleben. Göthe 17, 276 (wahlv. 2, 7). freilich geht es da im erstern falle sicherer auf das geglaubte (es), im zweiten auf er, und doch ist beide male zugleich eine gegenseitigkeit im spiele, wie deutlicher z. b. in einen gegenwärtig sehen, hören, ich habe ihn gegenwärtig gesehen, eigentlich doch praesens praesentem vidi, sodasz die endungslosigkeit gerade der doppelseitigkeit zum ausdruck dient, wie oft.

b)

welche ausdehnung aber diese freiheit zuliesz, zeigt lehrreich folgender fall: und (der verkäufer) milket gegenwertig die geisz. S. Frank weltb. 142ᵃ, d. h. gleich auf der stelle, vor den augen des käufers, wo es denn eigentlich auf alle drei betheiligten beziehung hat oder zuläszt, zugleich aber, zu melken gezogen, ins adv. übertritt (vergl. gegenwarts sofort). als bezeichnetes adv. doch auch noch mit dem dativ der person (1, b): würde einer geantwort in die frone gewalt .. und man vorsuchte en und marterte en (mit peinlicher frage) keiginwortiglichen den veimschepfen ... blume des Ssp., Homeyer richtst. landr. s. 375, d. i. in gegenwart der vehmschöffen; gegenwertig allem volk. Steinh. Bocc. 197. aber auch mit gen., wie beim subst.: gegenwertig eins (d. h. des) ganzen convents. Bocc. 10; gegenwertig des soldans. 44, g. sein (seiner) 34, g. ewer und ir 48. ebenso selbst in gegenwertig mit gen., wie in vermischung mit dem subst., s. unter gegenwart I, 7, c.

c)

doch auch mit voller endung, als adj. und subst., diesz z. b. mhd. die gegenwurtigen Servat. 3405, wie jetzt die anwesenden, eig. die zeugen eines vorgangs; nhd.: auf das sie ... heuchlen möchten dem abwesenden als dem gegenwertigen. weish. Sal. 14, 17; vergl. besonders das gegenwärtige unter 5, b. als adj.: were er (gott) aber ein gegenwertiger, sichtlicher mensch, er solt sie mit eim strohalm zum lande ausjagen. Luther bei Dietz 2, 40ᵃ; da redet Josua mit dem herrn ... und sprach fur gegenwertigem Israel: sonne, stehe still. Jos. 10, 12, vor aller augen und ohren.

3)

vom sachlichen gebrauch.

a)

es ist von haus ein gewichtiger ausdruck, wie gegenwart (s. d. II, 3. 4), im leben besonders entwickelt vor gericht oder im verkehr mit dem herrn u. ä., wie jenes. vom gerichtlichen gebrauch s. die mhd. beispiele unter 1, b vom kläger und beklagten, von zeugen, helfern u. ä.; wirt einir beclagit .. der nicht keinwortig were .. Magd. fragen s. 182; auch ungegenwärtig, nicht gegenwärtig: sô man obir einen unkeginwertigin ungerichte claget .. blume v. Magd. II, 2, 241. s. auch unter 2, b von schöffen, die einem vorgang durch ihre gegenwart kraft und wert geben (vgl. unter gegenwart 4, a). zu dem gebrauch vom herrn und diener gehört auch gegenwärtig vom besuch der reichstage, hoftage u. ä.: gab der kaiser die abbtye her Diethelmen von Wiszenburg .. der dozemal ouch zuͦ Spir gegenwirtig was. G. Oheim Reich. chr. 129, 31; und umgekehrt vom herrn oder seinem vertreter bei einem hoftage, gerichtstage u. ä.: so sol ain (d. h. der) abt von Ow mit verwilgen des vogts .. die bruͤder an das ort, da der vogt säsze und gegenwirtig were, citieren und fürhaischen. 132, 28; als unser herren (die capitelherren) zu sand Peter uch (schöffen) einen glaubesbrief (creditiv), der of uns zwene (abgeordneten) stehet, gesant hain .. das ir .. darzuthun (mit gerichthalten), als weren sie alle genwürtig. weisth. 3, 507. so noch folg.: die Flachsland ist verheurathet, an Herdern ... vorgestern war ich gegenwärtig der trauung. Göthe an Kestner s. 166 (d. j. G. 1, 367), mit dem urspr. dat., s. 1, b.

b)

so auch von gott, der z. b. bei gottesdienst und kirchlicher musik von alters her zugegen gedacht war: da man doch bedenken sollte, dasz nicht allein die heiligen engel, sondern auch die hohe göttliche maiestat selbst gegenwertig ist, wo man zu deren lob und dank zusammen kombt. Cyr. Spangenberg musica 159; vgl. noch bei Göthe: Rembrandt, Raphael, Rubens kommen mir in ihren geistlichen geschichten wie wahre heilige vor, die sich (dat.) gott überall auf schritt und tritt, im kämmerlein und auf dem felde gegenwärtig fühlen u. s. w. 44, 7, d. j. G. 3, 691 (üb. Falconet), zu dem dat. s. 1, b, zur sache vgl. u. gegenwart II, 3, a, auch Luther von der göttlichen gewalt: widerumb musz sie an allen orten wesentlich und gegenwertig sein. Dietz 2, 40ᵃ.

c)

vom verhältnis des dieners musz herrühren gegenwortig für promptus Dief. 464ᶜ, vgl. gagenwarti, gaganwurti promptus, ad manum Graff 1, 1008 fg., dienstbereit, 'zu dienst stehend' (vgl. gegenwertig steen 1, b): sollen sie geloben (die aufrührischen bauern) .. das sie sich .. anheims fügen und iren obersten herrschaften .. widerumb pflicht thun, inen getrew, gehorsam und gegenwertig zu sein. Luther 3, 106ᵃ, aus einer urk. von 1525 (in einer andern ausg. genwertig); gebieten wir allen .. unterthanen und getrewen, das ir den .. oberkeiten, gleich uns selbs, in solchem hülflich, beistendig, gehorsam und gegenwertig seiet. kais. edict das. 1, 462ᵃ. noch im 18. jahrh. ähnlich: du solst wissen, dasz ich allzeit gegenwärtig sein werde dir zu helfen, me saluti tuae praesto futurum. Aler 866ᵃ. ebenso lat. praesens, z. b. von göttern.

d)

auch die anwendung auf dinge wird sich wesentlich an den rechtlichen gebrauch anknüpfen. wie im 14. jahrh. auch von gestohlenem gute die rede ist, ob es zu kegenworte ist vor dem richter (gegenwart II, 3, d), so mit dem adj., wenn auch nicht mehr vor gericht: es ist besser das gegenwertig gut gebrauchen, denn nach anderm gedenken. pred. Sal. 6, 9, das was 'vor handen' ist. gerichtlich: so lasse, o könig, gegenwärtiger strittigkeit seinen lauf. Abele gerichtsh. 1, 7 u. ö., der vorliegenden streitsache, ohne art. (s. u. e); derjenigen personen .. die in gegenwärtiger sache meine gegner sind. Göthe als rechtsanwalt bei Kriegk kulturb. 465; in gegenwärtige lage versetzt. 394; gegenwärtiger nothgedrungener revision. 425, immer von dem vor gericht eben 'vorliegenden', verhandelten. es verlor aber eigentlich seine kraft mit dem vordringen des schriftlichen verfahrens, gieng aber dann auf die schriftstücke über (s. e). erweitert auf anderes, z. b.: in einem falle, wie der gegenwärtige. Gotter 3, 73, eben wie von rechtsfällen, wie der vorliegende ist jetzt das geläufige, man hat damit die sinnlichkeit wieder aufgefrischt, die gegenwärtig unter dem zeitbegriff eingebüszt hat. dieser mischt sich übrigens leicht ein, z. b.: will ich .. mir dazu eigens eine feder schneiden, indem die gegenwärtige so abgeschrieben ist .. Göthe 38, 141, mit der ich eben schreibe.

e)

besonders auch von schriftstücken, die 'vorliegend' gedacht sind, schon in mhd. zeit geläufig von urkunden, die sich selbst so nennen, z. b.: Ruͦdolf von gottes genaden Römischer kunig .. embieten allen des Römischen reychs getruwen, die disen gagenwurtigen briefe ansehent, unser genad und alleʒ guͦt, so beginnt der bestätigungsbrief für das Augsburger stadtrecht, am ende: des zu urkund haben wir disen gegenwärtigen briefe schryben .. haiszen. Augsb. stadtb. 233 (nach späterer abschrift); we Borchart ... greve von Mansvelt, bekennet in desseme jeghenwardeghen breve .. Höfer urk. 72; allen den gienen, die diesen genwerdichen bryf ane synt of horent. 76 u. o. (in den ältesten urk. doch nur disen brief u. ä.), d. h. der brief ist gedacht als schriftliche anstatt lebendiger kundschaft (s. kundschaft 4, a als zeugenschaft, zeugen), die im strittigen falle statt zeugen vorgeführt, vorgelegt, verlesen wird, daher gegenwertig wie redende zeugen, in lat. urkunden literae presentes. das gieng dann auf anderes schriftliches über, das dem leser vorliegend gedacht ist: darzu ein ausführlicher bericht .. warumb gegenwertige beschreibung nunmals wider auskommen, auf dem titel von Fischarts geschicht von Petern von Staufenberg Straszb. 1588, ohne den art., wie eben im gerichtsgebrauch, vermutlich dem latein entlehnt (vergl. u. gegenpart, gegner); es ist eben itzt acht und vierzig stunden, dasz ich mit abfassung gegenwärtiger noten beschäftigt bin. Rabener 2, 206; man würde es nur vergebens leugnen wollen, dasz gegenwärtige abhandlung durch die neuliche aufgabe der k. preusz. ak. der wiss. veranlaszt worden. Lessing 5, 1 (Pope ein metaph.!); und gegenwertige ankündigung selbst bestehet nur aus den briefen .. 8, 314 (Bereng. Tur.); jetzt dafür vorliegend, auch diesz noch gern ohne den artikel. mit art.: aber das gegenwärtige buch ist nun einmal da. Göthe 33, 231, als recensent; als rechtsanwalt: ohnschwer zu ersehen, wie in gegenwärtiger erzählung nicht die geringste animosität .. hersche. bei Kriegk 493; meine gegenwärtige bitte. 292, die dem gericht hiermit vorgelegte, doch zugleich schon in den zeitbegriff überschlagend; trat gegenwärtiger verfasser (ich) als vorleser in den Reichelschen garten. J. Paul vorsch. d. ästh. 3, 5 (1813 s. 741). noch im kaufmännischen geschäftsstil, dem canzleistil nachgeahmt, z. b. mit gegenwärtigem (schreiben) melde ihnen, wie franz. la présente (lettre).

4)

ins innere, in den geist übertragen.

a)

menschen, dinge sind im geiste, in gedanken uns gegenwärtig (hier noch mit dem alten dat. 1, b), d. h. wir haben sie innerlich vor augen, wie es auch heiszt, sehen und fühlen sie im geiste: ein ieglich ding, das dâ von dem anderen bekant sol werden, das muos im gegenwürtig sîn, eintweder mit im selber oder mit sîme glîchnisse (entsprechenden bilde, abbilde). Haupt 8, 442; also ein mensch, der gott warlich und vollkommenlich lieb hat, dem ist er allwegen gegenwürtig vor den augen seiner seelen. Keisersb. seelenpar. 2ᵇ; ich will, lieber Boie, auch aus meinem gedächtnis einzele züge .. sammeln (von Klopstock) .. alles ist mir ganz gegenwärtig, denn ich empfinde, lebe, geniesze immer noch in der vergangenen zeit (seines umgangs mit Kl.). Sturz 1, 181; Eleonore ... ewig wird mir ihr bild gegenwärtig sein, eine schlanke zarte gestalt u. s. w. Göthe 16, 206; selbst im comp.: der kleine schalk ist mir gegenwärtiger als je, ja es ist mir als ob sein bild sich mir in die augen hineinbohrte. 22, 186 (wand. 2, 11); befeuert durch den antheil .. ward der plan (zu dem theaterstück), der ihm durch die erzählung gegenwärtiger geworden war, ganz lebendig. 18, 275 (lehrj. 3, 7); aber sichtbarer, gegenwärtiger, unverkennbarer lebt er in mir (der freund). Hölderlin (1874) 193. das übertreten aus der äuszern in die innere gegenwärtigkeit sicht man besonders deutlich im folg.: wobei wir jedoch immer voraussetzen, dasz dem leser diese sammlung entweder wirklich oder in gedanken gegenwärtig sei. Göthe 43, 397, das wirklich gegenwärtig mit dat. wieder völlig in der alten, nun vergessenen weise; nur noch weinen konnte er, und weinen muszte er, wenn ihm auch mit verhaltenen augen die anwesenheit der vielen neugierigen schmerzlich gegenwärtig blieb. Felder reich u. arm 174. auch lebhaft oder (wie) leibhaft gegenwärtig. auch der abwesende selbst sagt: als der ich mit dem leibe nicht da bin, doch mit dem geist gegenwertig. 1 Cor. 5, 3. dazu vergegenwärtigen, vergl. gegenwärtigen.

b)

auch von empfindungen, gedanken, vorstellungen u. ähnl.: mîne angeste, dâ mite ich bivangen bin ofte unde mir gegenwartich sint. Wackern. leseb. 1, 275, 24, wo vermutlich der feindliche begriff u. 1, a noch mit einklingt, die mir anrückend zusetzen gleichsam; so lang dir der (unkeusche) gedank nit also gegenwürtig ist, daʒ du darein verwilligest noch in durch deinen freien willen annimpst, so lang sündest du nit tödlich. Keisersberg sib. schw. (granatapf.) g 3ᶜ, noch nicht so nahe tritt sagen wir jetzt, gleichfalls wie ein feind anrückend; und wie ich euch liebe, sei euch gegenwärtig in stunden der ruh. Göthe an Kestner s. 165 (d. j. G. 1, 367); indem ich an Max Jakobi das grundschema einer vergleichenden knochenlehre, gegenwärtig wie es mir war, dictirte. werke 31, 46; seit langer zeit ist mir die majestät der schicksallosen seele gegenwärtiger als alles andre gewesen. Hölderlin 264. auch ohne dat.: es kann also kommen, dasz uns gewisse unangenehme regungen lieb werden, weil wir gewisse vorstellungen gern haben wollen, welche ohne jene nicht gegenwärtig oder nicht recht lebendig bleiben. Gellert 5, 145; niemand hatte vielleicht mehr deutliche begriffe beständig in seiner seele gegenwärtig, als Baumgarten. Abbt 4, 236. noch jetzt ist geläufig und beliebt z. b. das ist mir noch deutlich gegenwärtig (auch ich sehe es noch vor mir), halten sie sich das immer gegenwärtig; doch auch aufs blosze gedächtnis beschränkt das ist mir nicht gegenwärtig, ich kann mich nicht darauf besinnen (vgl. gedächtnis 5, e). der gebildete nimmt übrigens gern präsent, auch z. b. präsentes wissen, kaum aber gegenwärtiges.

c)

aber auch das ich selbst ist im geiste gegenwärtig oder nicht (abwesend), auch bei leiblicher gegenwart, wozu gegenwart 6, e zu vergleichen, praesentia animi.

α)

gegenwärtig schlechthin, mit unzerstreuten seelenkräften bei der sache, in der gegenwart: o! warum muszt' ich dich dir überlassen! du warst nicht gegenwärtig genug, dem unerwarteten durch gewandte list zu entgehn. Göthe 57, 79, erster entwurf der Iphig. 4, 4, gesammelt, gefaszt, herr der lage. auch vom bloszen bewusztsein: sie erfuhren ... dasz man ihn auskleide, trockne, besorge, halb gegenwärtig halb unbewuszt lasse er alles geschehen. 22, 88 (wanderj. 2, 5), gegensatz zu geistesabwesend. aber auch gesteigert: ich schien abwesend (bei dem streite), sprach er, aber nur deshalb weil ich mehr als gegenwärtig war. ich erinnerte mich nämlich (dabei) u. s. w. 23, 38 (wand. 3, 3), d. h. weil ich darüber zugleich weiter dachte. so lat. praesens ingenio, auch kurz hom*o praesens (vgl.γ), franz. présent, die darauf gewirkt haben werden.

β)

trefflich auch mit dat.: aber G*** war seines eigenen 40 werthes zu gewiss, um sich einen mann wie Martinengo als nebenbuhler auch nur zu denken, und dieser, sich selbst zu gegenwärtig, zu sehr auf seiner huth, um durch irgend eine unbesonnenheit .. Schiller VI, 109 (spiel des schicksals).

γ)

gegenwärtiger geist, geistesgegenwart, esprit présent: man stelle sich vor, dasz ein mensch, der sonst allezeit mit dem gegenwärtigsten geiste von der welt in das zimmer seiner gebietherinn getreten war .. J. E. Schlegel 3, 396;

ja und das schwache geschlecht, so wie es gewöhnlich genannt

wird,

zeigte sich tapfer und mächtig und gegenwärtiges geistes.

Göthe 40, 294 (Herm. u. D. 6),

wie lat. animo praesentissimo, das wol dabei vorschwebte.

5)

übertragen auf die zeit, eignerweise im adj. ganz früh schon, aber im subst. erst spät, s. gegenwart II, 7.

a)

wie dieser begriff aus dem ursprünglichen, der abstracte aus dem sinnlichen herauswächst und doch damit verwachsen bleibt, ist bis in die gegenwart zu erkennen (vgl. gegenwart 7, b), z. b.: in Carln hingegen konnten nur, wenn er einen blick um sich her warf, seine inneren qualen verstummen, sie wurden dann zurückgeschröckt durch besorgnisse der gegenwärtigsten gefahren, welche ihn zunächst umschlossen. Schiller IX, 386, 20, gefahren des augenblicks gegenüber den qualen über die morde der vergangenen Bartholomäusnacht, aber beide gedacht als dicht vor ihm und hinter ihm liegend, wie es ganz sinnlich auch noch heiszt, die gefahren auch wie anrückende feinde, vgl. 1, a (zum superl. vgl. den comp. unter 4, a). auch noch sinnlicher: mit ainmuͤtigen ... rat und willen ... der churfursten, fursten ... und andern stend des hailigen reichs alhie auf gegenwurtigem des hailigen reichs tag versamlet. reichstagsabsch. Augsb. 1500 A ijᵃ; haben wir gegenwurtigen reichstag alher geen Augspurg furgenomen. B iijᵃ; gemainer versamlung gegenwirtigs reichs tag. das. (ohne artikel, s. 3, e), d. h. sowol der eben statt findet als den man versammelt sieht, nach 3, a.

b)

so besonders auch das gegenwärtige, zugleich begrifflich wie jetzt die gegenwart und zugleich noch sinnlich von den vorliegenden dingen oder verhältnissen, in denen man steht oder wie es ähnlich noch sinnlich heiszt: spem precio non emo, ich halt mich an das gegenwertig. Alberus a 1ᵇ; es sei das gegenwertige oder das zukünftige, alles ist ewr. 1 Cor. 3, 22, εἴτε ἐνεστῶτα εἴτε μέλλοντα; das gegenwertig mit dem zuͦkünftigen und vergangnen vergleichen. Frank spr. 2, 82ᵇ; man veracht immer das gegenwertig und tracht nach dem das nicht vorhanden. Lehmann flor. 1, 272, vergl. für gut haben was gegenwertig und für der hand ist 273;

mit forschem und mit vielem denken

kann sich ein kind das haupt nicht kränken,

es lebt in süszer einfalt so

im gegenwärtigen ganz froh.

Tersteegen geistl. blumeng. (Wack. leseb. 2, 608);

ich will das gegenwärtige genieszen, und das vergangene soll mir vergangen sein. Göthe 16, 5 (Werther 6); ich fühle mich unwiderstehlich vorwärts gezogen (nach Rom), nur mit mühe sammle ich mich an dem gegenwärtigen. 27, 176, aus Bologna 20. oct. 1786, in der stimmung vor der abreise; ich bin freilich, wie du (Herder) sagst, mit meiner vorstellung sehr ans gegenwärtige geheftet. 28, 242, aus Neapel 17. mai 1787, vergl. an Lavater: du hast recht, ich treibe die sachen, als wenn wir ewig auf erden leben sollten. s. 94. man sieht, wie bei ihm die sinnliche hälfte des begriffes vorwiegt, noch stärker im folg., wo er ihm das bedeutende entgegen und darüber stellt, das über die gegenwart hinaus reicht oder weist, von einem mahler: es schien, als wenn ihn diese trauer (um den tod der gattin) zum bedeutenden erhübe, da er sonst nur alles gegenwärtige gemahlt hatte. 38, 68 (d. sammler, 2. br.). philosophisch: indem der mensch das gegenwärtige empfindet .. Schiller 12. ästh. br. aber auch früher kann schon der zeitbegriff vorwiegen, z. b.: sachen die im gegenwärtigen angenehm .. sein. Schuppius 742 (1700 s. 697), jetzt in der gegenwart, für den augenblick. auch so: du verheiszt mir viel zukünftiges, das ungewiss ist, was man aber gegenwertigs empfächt, das ist gewiss. buch der liebe 189ᵇ. vgl. ebenso das künftige für die zukunft, ins künftige für in zukunft.

c)

aber auch der zeitbegriff selber ist von haus aus ein zweiseitiger, denn es kommt auch vom zukünftigen vor, für uns zunächst ein unbegreiflicher widerspruch:

bis das ze leste kam diu frist,

diu gegenwertig uns allen ist,

das er begonde nâhen

sînem ende.

K. v. Ammenhausen schachz. 244ᵇ (Kurz u. Weisz. beitr. 1, 349),

die uns allen bevorsteht, eigentlich: auf uns zukommt (daher eben zukunft), d. h. der alte begriff mit bewegung (1, a) auf die zeit übertragen; es kann nur an der beobachtung liegen, dasz die bed. nicht mehr bezeugt ist. es ist wie ahd. zuowart, zuowert venturus, futurus Graff 1, 1010, auch im 12. jahrh. zuowurtes adv. (vgl. gegenwarts), in rhein. form:

wie luzel thu nu weist umbe thie gröliche dinc,

thie thir zôwrdes sint.

Germ. 12, 94,

eigentlich in auf dich zukommender bewegung. die Gothen unterschieden andvairþs und anavairþs als gegenwärtig und zukünftig, nih andvairþô ni anavairþô, οὔτε ἐνεστῶτα οὔτε μέλλοντα Röm. 8, 38, d. h. was mir schon gegenüber ist (and-) und was erst herankommt; und dieses noch ahd. nachklingend anawartes cras Graff 1, 998, aber auch anawartîg praesens 999, dazwischen stehend aber (sâr) anawertes für jam, d. h. eigentlich so nahe, dasz es im augenblick auch vor mir oder an mir sein wird. denn in lat. jam, auch in instans (ἐνεστώς) ist dieselbe doppelheit, so wol 'schon da' als nächst bevorstehend, und wenn instans ahd. mit gagenwert übersetzt wird, noch im 15. jh. mit gegenwertig Dief. 301ᶜ, gegenwürtig nov. gl. 218ᵃ, so kann da die zweite bedeutung mit eingeschlossen sein (vgl. unter f). so löst sich der widerspruch: gegenwertig eigentlich mir zugekehrt, ursprünglich einerlei ob noch in bewegung, oder schon in ruhe vor mir angelangt, denn beides liegt an sich sowol in gegen (sp. 2210) als in wart. das bedürfnis einer scharfen scheidung muszte sich doch einstellen, und in künftig (s. d. 2) war die bewegung doch deutlicher, es theilte sich aber auch in das überhaupt kommende und das zunächst kommende, schon nahe, z. b. auch der künftige tag, der eben anbrechende (s. künftig 3. 2, b).

d)

entschieden ist der zeitbegriff bei verbindung mit einer andern zeitbezeichnung, schon seit ahd. zeit:

thoh quimit noh thera zîti frist,joh si ouh nu geginwertîg ist ..

Otfr. II, 14, 67,

ist schon 'vor der thür', schon da (vgl. unter c); den gagenwartigin lîb (leben). Notker 59, 12; diu gegenwürtige zît. mhd. wb. 3, 600ᵇ; wie si (die menschen) lebbent in diesen gegenwertigen cîten. Merswin 24; von dem jarmarkt auf das gegenwürtig jar a. 66. Augsb. chron. 2, 311, 24; bisz uf den gegenwürtigen tag meins alters. 312, 31; gegenwertig zyt. Melber varil. s 6ᵃ, es war lange der geläufige ausdruck für unser gegenwart, den z. b. noch Rädlein, Adelung allein kennen; hiervon wollen wir in der gegenwärtigen stunde reden. Gellert 6, 109 (5. mor. vorl.); der gegenwärtige augenblick ist nur ein todter rumpf, dem der kopf und die füsze fehlen. Hamann 1, 90; doch voll bleibenden gefühls des gegenwärtigen augenblicks. Göthe 44, 13, mhd. ein gegenwertigeʒ nu; ob nicht ... das jenige, was viele jahrhunderte nicht leisten konnten, noch vor ablauf des gegenwärtigen erreicht werden möge .. Kant crit. d. r. vern. am schlusse. gewöhnlich doch einfach dieses jahr, diese zeit, in diesem augenblick, auch die jetzigen zeiten.

e)

von dingen, zuständen in der zeit: die gegenwärtige notlage; der gegenwärtige ausbruch des Ätna, von dem man in Europa spricht, der aber doch nur wenigen im eigentlichen sinne gegenwärtig ist; nun endlich von mir, als dem gegenwärtigen vergnügten besitzer (des kunstwerkes). Göthe 38, 75, dem jetzigen. wie es sich da zum bloszen zeitbegriffe zugespitzt hat, zeigt z. b. im gegensatze: mir ist ganz wohl euch zu sehen in freier gotteswelt, theils des gegenwärtigen genusses willen, der verjüngt leib und seele .. d. j. Göthe 3, 37, d. h. den man nicht in gedanken, also auszer dem gegenwärtigen zu suchen braucht, vgl. das gegenwärtige genieszen unter b und gegenwart 6, e.

f)

der begriff in anderer weise zugespitzt: also ist auch eine krankheit nicht stracks eine anzeigung eines gegenwärtigen todes. Olearius pers. ros. 6, 1, eines augenblicklichen oder genauer eines baldigen, nahen, der 'schon gegenwärtig' ist, vor der thür, also wie unter c für instans, das selbst zwischen augenblicklich und nahe schwankt. vgl. Ludwig unter g.

g)

endlich als adv.: wie sie Christum kegenwertig furchten und eeren. Luther bei Dietz 2, 40ᵃ, doch schwerlich im heutigen bloszen zeitbegriffe, vergl. 2, a das überschwanken des adj. ins adv.: gegenwärtig oder gleich jetzo läszt sich das nicht thun. Ludwig 713, augenblicklich, es wird in dieser bedeutung zuerst aufgekommen sein; gegenwärtig, vor jetzo, in praesentia. Weber 332ᵃ; gegenwärtig habe ich es noch nicht nöthig. Adelung;

zwar ich besitz es gegenwärtig.

Göthe 22, 81,

aber wol auch mehr: als gegenwärtiges, nach 2, a; haben wir uns wechselseitig die punkte klar gemacht, wohin wir gegenwärtig gelangt sind. Schiller an Göthe 27. aug. 1794. es ist der gebrauch, der unserm sprachgefühl im vordergrunde steht und doch zuletzt entwickelt ist.

›gegenwartig‹ in: Deutsches Wörterbuch (¹DWB) (2024)
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Author: Gov. Deandrea McKenzie

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